Die christliche Welt am Vorabend der Reformation war voller emsiger und reger Religiosität. Die Menschen waren damals mehrheitlich fromm und kirchentreu. Ihre Frömmigkeit aber war über weite Strecken irregeleitet. Dies wird heute auch von der katholischen Geschichtsschrei- bung zugegeben: „Beten, Leben, Lehren hatte sich weit von der Schrift und dem apostolischen Ideal entfernt.“
Das religiöse Leben war häufig geprägt von Formalismus und Routine. So wurden damals allein in Köln täglich hunderte Messen gelesen, aber es gab keine Andachten in der Volkssprache, und die Jugendlichen wurden nicht unterwiesen. Man strömte in die Klöster, um weltlich und geistlich abgesichert zu sein. Deutschland hatte damals, bei vielleicht 20 Millionen Einwohnern, 1,5 Millionen Priester und Mönche! Die Gläubigen wurden nicht angehalten, die Heilige Schrift zu lesen, sondern mühevolle Wallfahrten auf sich zu nehmen – so zum Beispiel zum „heiligen Rock Christi“ in Trier – oder die zahlreichen Reliquiensammlungen zu be- staunen. So besaß der Kurfürst Friedrich der Weise, der Landesherr Luthers, eine Sammlung von über 19.000 Reliquien, darunter „Heu aus der Krippe Jesu“, einen „Zweig vom brennenden Dornbusch“, und „Milch von der Mutter Maria“. Die Echtheit solcher Stücke wurde nicht infrage gestellt.
Der Kampf um den Ablass
Die Forderung Jesu, „gute Werke“ zu tun (Mt 5,16) wurde in eine Richtung entstellt, die dem Evangelium völlig fremd ist. Wenn Jesus den Menschen ihre Schuld vergab (Mk 2,5; Joh 8,11), dann bürdete er ihnen keine weiteren Strafen auf, sondern entließ sie in Frieden. Die mittelalterlichen Theologen aber machten aus Jesu Barmherzigkeit ein kompliziertes Rechts- und Werksystem. Man behauptete, Vergebung der Schuld könne man wohl vom Priester in der Beichte erlangen, aber dann müsse man noch Strafleistungen erbringen, um die Schuld wieder gutzumachen. Glücklicherweise konnte man sich von diesen Strafen auch befreien. So entstand die Lehre vom Ablass der zeitlichen Sündenstrafen. Seit dem Hochmittelalter konnte man solche Ablässe auch für die Toten kaufen, die sich – vermeintlich – im Fegefeuer befanden. Abgesehen davon, dass der Verkauf von Ablässen nach der Reformation eingestellt wurde, gilt die Lehre vom Ablass auch heute noch.
Die Reformation entstand im Ringen um die Berechtigung solcher Strafwerke und den Verkauf der Ablässe. Da die Päpste damals für den Bau der Peterskirche in Rom viel Geld benötigten, trieben sie den Ablasshandel voran. Ein „skandalöses Geldgeschäft“ machte sich breit, wie der katholische Kirchenhistoriker Joseph Lortz es formulierte. Einer der prominentesten Ablassprediger war der Dominikanerpriester Johann Tetzel, der den Gläubigen verhieß: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegfeuer in den Himmel springt.“
Dies erregte den Zorn des Theologieprofessors Martin Luther in Wittenberg. In einem Brief an den Erzbischof Albrecht von Mainz protestierte er gegen diese Deformation der christlichen Lehre: „Die Ablasspredigt hat Christus nirgends geboten, wohl aber mit großem Nachdruck die Predigt des Evangeliums.“
An dem Tag, als Luther diese Zeilen schrieb – es war der 31. Oktober 1517 – schlug er nach dem Bericht seines Freundes Philipp Melanchthon auch die 95 Thesen über den Ablass und die Bußwerke an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg. Schon die erste These wirkte wie ein Paukenschlag: Werke sind keine Strafen, sondern Buße im Sinne von Umkehr ist die beständige Lebenshaltung des Christen: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße‘, hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“
„Halte die Gebote!“
In seinem „Sermon von den guten Werken“ aus dem Jahr 1520 führte der Reformator dann aus, welches die Werke des Christen sein sollen. Gute Werke sind nur die, welche Gott fordert, und nicht die, welche die Menschen gebieten. Wenn man nun wissen will, welches diese Werke sind, soll man Christus hören, der zum reichen Jüngling spricht: „Wenn du bei ... [Gott] leben willst, dann befolge seine Gebote.“ (Mt 19.17 GNB)
Diese Gebote sind die Zehn Gebote und nicht die kirchlichen Satzungen oder Überlieferungen.
Um diese Gebote halten zu können, braucht man den von Gott geschenkten Glauben, der dazu die Kraft verleiht. Ohne Christus sind die Werke tot. Folgen keine Werke, dann ist der Glaube nur ein Scheinglaube: „Schließ den Glauben und die guten Werke zusammen, dass in beiden die Summe des ganzen christlichen Lebens stehe.“ Die guten Werke sind „Zeichen und Siegel“, dass der Glaube echt ist. Der Glaube manifestiert sich in der Liebe und die Liebe im Befolgen des Gesetzes.
So leben Christen „unter dem Gesetz, aber doch ohne Gesetz“. „Ohne Gesetz“, weil diejenigen, die an Christus glauben, nicht mehr vom Gesetz verurteilt werden können, „unter dem Gesetz“, weil es auch noch für die Wiedergeborenen gültig bleibt. Sie brauchen es, um die Sünde zu erkennen (Röm 3,20) und um sich – erleuchtet und motiviert vom Heiligen Geist – neu nach dem Willen Gottes zu orientieren (Röm 8,4; Hbr 8,10).
So schreibt auch Ellen White, dass das Gesetz zwar nicht erretten kann, dass aber, wenn Gott es durch den Geist ins Herz prägt, der Christ es wohl erfüllen soll und kann.
Im Kampf mit den „Antinomern“, den „Gegnern des Gesetzes“ aus den eigenen Reihen, hat sich der Reformator schon zu seinen Lebzeiten beklagt, dass sich viele seiner Anhänger nur dem „süßen Evangelium“ hingeben würden, wo es mehr um die Rechtfertigung der Sünde als des Sünders gehe. Die Ahnung trieb ihn um, es werde eine Zeit kommen, in der die Menschen nach ihrem Gutdünken leben und sagen werden: Es gibt keinen Gott.
Um vor dieser Gefahr zu warnen und zur Treue gegenüber Gottes Geboten aufzurufen, hat Gott in unserer Zeit das Adventvolk berufen. Er hat ihm eine „besondere Botschaft“ anvertraut, eine Reformationsbotschaft zur Wiederherstellung, Bewahrung und Befolgung des „Gesetzes Gottes“. Es ist die „letzte Warnungsbotschaft an die Welt“.
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