Immer wenn sich Christen auf die biblische Lehre von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben besonnen haben, entstanden Aufbruch, Erweckung und Erneuerung in der Christenheit. Das war so, als Martin Luther über eine über tausend- jährige Kirchentradition hinweg auf den Apostel Paulus („Paulus, mein Paulus“) zurückgriff und mit dem „hohen Hauptartikel“ die Reformation des 16. Jahrhunderts ins Rollen brachte.
Das war auch so, als am 24. Mai 1738 John Wesley in der Aldersgatestraße in London die Vorrede Luthers zum Römerbrief hörte und damit eine Erweckungsbewegung in England ins Leben rief, die „eine Epoche in der englischen Geschichte bildet“.
Und das war auch so, als 1888 auf der Generalkonferenz von Minneapolis durch einen christozentrischen Aufbruch mit der Besinnung auf die Gerechtigkeit Christi ein neues Kapitel in der Geschichte der Adventgemeinde aufgeschlagen wurde. Die Frucht jener Wende waren einige von Ellen Whites christozentrischen Büchern wie Der bessere Weg, Das bessere Leben, Bilder vom Reiche Gottes und Das Leben Jesu.
Dagegen waren Zeiten, in denen sich die Christenheit auf ihre eigenen Leistungen und Verdienste zurückzog, immer auch Zeiten des Niedergangs. Schon im 2. Jahrhundert wurde Paulus nicht mehr richtig verstanden, im Mittelalter blieben seine Anhänger eine Minderheit und am Vorabend der Reformation herrschte die Meinung vor: „Wenn der Mensch tut, was in seinen Kräften steht, dann gibt Gott ihm seine Gnade.“ Es war dieser Satz, der Luther empörte, und ihn in der Römerbriefvorlesung zum Ausruf trieb: „O ihr Narren!“
Rechtfertigung der Sünder oder Rechtfertigung Gottes?
Wenn man diese geschilderten Zusammenhänge vor dem Hintergrund der gegenwärtigen religiösen Situation betrachtet, scheinen sie heute nur noch wenig Bedeutung zu haben.
In der modernen Theologie spielt die Rechtfertigungslehre nur eine untergeordnete Rolle. Man bewertet sie als zeitgebundene Polemik gegen die judaistische Gesetzlichkeit der Apostelzeit. Schließlich kommt sie nur in zwei paulinischen Briefen zur Sprache und ist damit in der christlichen Erlösungslehre nur von zweitrangiger Bedeutung. Sie verschwindet, weil, so sagt man, auch die Situation verschwunden ist, für die sie entwickelt wurde.
Eine Ausnahme von der aktuellen Interesselosigkeit registrierte man nur im Raum der ökumenischen Kirchenpolitik, wo in der sogenannten „Gemeinsamen Erklärung“ 1999 zwischen dem „Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen“ und dem „Lutherischen Weltbund“ ein „Grundkonsens“ in der Rechtfertigungslehre beansprucht wurde, den Papst Benedikt XVI. als „Meilenstein auf dem Weg zur Einheit“ bewertete. Seit dieser Zeit aber ist es um dieses Dokument still geworden, sagt es doch nach der Meinung vieler Kommentatoren nur mit ähnlichen Worten aus, was nach wie vor unterschiedlich verstanden wird.
Bleibt zuletzt noch die Mehrzahl der Zeitgenossen, die säkularen Menschen, die nicht mehr wie Luther nach einem „gnädigen Gott“ suchen, sondern fragen, ob dieser Gott überhaupt existiert. Und wenn ja, dann soll er sich rechtfertigen für all das Leid und die Übel das Böse in der Welt!
Natürlich sind die meisten von ihnen keine aggressiven Atheisten, denn die bei ihnen vorherrschende Einstellung ist die des sogenannten „praktischen Atheismus“, eine Haltung, in der man nicht gegen Gott kämpft, sondern ihn einfach ignoriert, denn man lebt ganz gut auch ohne ihn.
unsere Aufgabe
Wie können wir als Christen unserer Zeit solche Menschen ansprechen und für das Evangelium aufgeschlossen machen? Sie wissen nicht, was Sünde ist, geschweige denn, dass sie in erster Linie ein Vergehen gegen Gott ist (Ps 51,6). Sie wissen auch nicht, wie Sünde vergeben werden kann (1 Joh 2,2) und dass zu einem erfüllten Leben ein Friede (Röm 5,1) und eine Hoffnung (Tit 2,11–14) gehören, die in dieser Welt nicht zu finden sind.
Das Einzige, was der Gegenwartsmensch von sich aus begreift und worunter er auch leidet, ist das Schuldproblem auf der horizontalen Ebene: zwischenmenschliches Fehlverhalten, soziale und politische Ungerechtigkeit, Kriege unter den Völkern und Zerstörung der Natur und damit unserer Lebensgrundlagen. An diesem Bewusstsein des Menschen von heute kann die christlich-adventistische Verkündigung anknüpfen.
Wir erkennen, dass der Grund für die Entfremdung von sich selbst, von den Mitmenschen und von der Umwelt in der Entfremdung vom Lebensgeber und Schöpfer liegt. Das Urteil des Apostels ist eindeutig: „Kein Mensch hat Einsicht und fragt nach Gottes Willen. Alle haben den rechten Weg verlassen.“ (Röm 3,11–12 GNB)
Unsere Erfahrung bezeugt, was die Bibel sagt: „Kann ein dunkelhäutiger Mensch etwa seine Hautfarbe wechseln oder ein Leopard sein geflecktes Fell? Genauso wenig kannst du Gutes tun, die du ans Böse gewöhnt bist!“ (Jer 13,23 Hfa)
Das Problem sind daher weniger die Umstände, sondern der Mensch selbst, der unfähig ist, sich selbst zu steuern und einen Ausweg für die Welt zu finden. Es ist, wie Jesus sagte und Paulus bekräftigte: „Aus dem Herzen kommen böse Gedanken.“ (Mt 15,19) und wir sind wie Sklaven „unter die Sünder verkauft“ (Röm 7,14). Sünde – in der Einzahl, also als Zustand – ist letztlich die Abkehr von Gott und die Hinwendung zum Geschöpflichen, die Haltung des Menschen, Herr seines Lebens sein zu wollen. Daraus resultieren die Sünden (die sündigen Tagen – Plural).
sollen wir also tun?
Die einzige Lösung für dieses Dilemma ist in Jesus von Nazareth zu finden. Er ist der „absolute Mensch“, dessen Leben und Sterben gegenwärtiges und zukünftiges Heil garantiert, der unter uns „in der Welt“ lebte, aber nicht „von der Welt“ war. Er ist der Weg zurück zu Gott, weil er selbst als Sohn Gottes die „Offenbarung Gottes“ ist (Joh 14,6.9).
Wenn wir ehrlich sind, erkennen wir, dass alles Streben der Menschen die „schöne neue Welt“ zu verwirklichen utopisch ist. Trotz aller technischen Fortschritte – Atomkraft, Weltraumfahrt, Digitalisierung – bleibt uns die „heile Welt“ verwehrt. Sünder sind nicht in der Lage, Sündloses zu schaffen! Die „neue Erde“, in welcher „Gerechtigkeit wohnt“ (2 Ptr 3,13), kann nur von Gott verheißen und geschenkt und von Christi Nachfolgern erhofft und erwartet werden.
All das macht die christliche Heilslehre für un- sere oft ratlosen und hoffnungslosen Mitmenschen zu einer zeitlosen und unverzichtbaren Option. Adventisten sind berufen, dieses Angebot in unserer Zeit der Welt nahe zu bringen: Nur „in Christus“ kommen wir zum Frieden mit Gott und untereinander, nur seine Liebe gibt dem Leben Sinn und nur er schenkt Hoffnung auf eine Welt, in der Gerechtigkeit herrscht! Wie Ellen White treffend schrieb: „Von allen, die den Namen Christen tragen, sollten die Siebenten-Tags-Adventisten Christus am meisten vor der Welt erheben.“
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